Vor kurzem wurde ein Konzert abgebrochen und ein anderes geplantes Konzert fand gar nicht erst statt, weil die Musiker nicht die „richtige” Friseur hatten und die „falsche” Musik spielen wollten. Der Vorwurf: Kulturelle Aneignung.
Doch alles der Reihe nach. Ende März verbreitete sich die Schlagzeile in den Medien, dass eine Künstlerin von einer Fridays for Future Demonstration ausgeladen wurde. Ihr Auftritt wurde abgesagt, weil die weiße Musikerin Dreadlocks trägt. Nur wenige Monate später ereignete sich ein ähnliches Ereignis: Bei einem Konzert der Band „Lauwarm” in der Schweiz fühlten sich einige Gäste unwohl und beschwerten sich, woraufhin die Veranstaltung abgebrochen wurde. Die Kritik richtete sich an die weißen Künstler, die zum einen Dreadlocks trugen und zum anderen Reggae spielten. Doch damit nicht genug: Auch das Konzert des österreichischen Musikers Mario Parizek wurde kurzfristig gestrichen. Die Begründung: Er trage als weißer Musiker Rastas.
Was ist Kulturelle Aneignung?
Ist es also weißen Menschen verboten Dreadlocks zu tragen und Reggae-Musik zu spielen? Vertreter der kulturellen Aneignung beantworten diese Frage eindeutig mit „Ja”. In ihren Augen beginnt kulturelle Aneignung, sobald die weiße, westliche Kultur Elemente aus anderen Kulturen übernimmt und diese kommerzialisiert.
Die Diskussion über kulturelle Aneignung ist nicht neu. Selbst der Rock’n’Roll-König Elvis Presley sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, Millionen mit „schwarzer Musik“ verdient zu haben. Die Debatte gewinnt jedoch an Breite und Intensität und betrifft mittlerweile verschiedene Bereiche wie Hip-Hop, Yoga, Karnevalskostüme und internationale Küche. Im Kern steht der Vorwurf, dass in der westlichen Welt Profit mit Elementen aus anderen Kulturen geschlagen wird.
Kulturelle Aneignung hat es schon immer gegeben
Doch was passiert, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander treffen, sich austauschen und Elemente übernehmen? Zwangsläufig findet eine Vermischung der Kulturen statt. Und streben wir nicht genau das an und sind das nicht unsere Werte? Eine kulturelle Vielfalt, die unsere Welt noch interessanter macht, unser Denken erweitert und uns weiterentwickeln lässt. Selbst wenn wir es nicht anstreben würden, die Vermischung von Kulturen hat es schon immer gegeben.
Jede Kultur ist immer vermischt mit anderen Kulturen; aus dem Austausch mit ihnen entstanden. Wie im Großen, so im Kleinen. Jedes Paar, das sich zusammentut, übernimmt aus jeder Familie Traditionen oder lässt andere weg. Noch kleiner gedacht, ist das Vermischen die Gesunderhaltung und Weiterentwicklung unserer Genetik.
DIe Begründung der Konzertabsage
Aber zurück auf die Makroebene: Von einigen Vertretern der kulturellen Aneignung ist das ausdrücklich nicht erwünscht. So begründete Fridays for Future die Absage an die Musikerin wie folgt: „Wenn eine weiße Person also Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung, da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen”. Laut der Musikerin wäre der Auftritt möglich gewesen, wenn sie sich vorher ihre Haare abgeschnitten hätte. Aber Moment, hier fehlt mir eindeutig die Information, ob sie dazu zu einem „weißen” oder „schwarzen” Friseur gehen muss.
Torpediert der Vorwurf „Kulturelle Aneignung” nicht die Kultur selbst?
Schon während ich diesen Kommentar schreibe, missfällt es mir, die Menschen in „weiß” und „schwarz” einzuteilen. Ich dachte, wir wären schon weiter und unterscheiden uns Menschen nicht mehr in Hautfarben. Die Hautfarbe sollte eigentlich keine Rolle mehr spielen, doch jetzt wünschen wir uns wieder eine Rassentrennung?
Jan Fleischhauer, Kolumnist beim focus, fragt:
„Was ist die Alternative? Der deutsche Sport, Max Schmeling – Sport, also Boxen und ich esse nur noch deutsches Essen […]. Das ist doch der feuchteste Traum der AfD ever. Jeder bleibt in seiner Kultur. Und da gehe ich nicht mit. Ich möchte nicht in der AfD-Kultur leben”.
Bewusstseinsbildung oder Gar Verbote?
Zumindest lehnen nicht alle Vertreter der kulturellen Aneignung den kulturellen Austausch ab und würden sofort Verbote aussprechen. Ihnen geht es vielmehr darum, ein Bewusstsein für die kulturellen Ursprünge zu schaffen und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Das gilt insbesondere für die kulturellen Elemente, für die eine kulturelle Minderheit Diskriminierung oder gar institutionellen Rassismus erfahren hat oder immer noch erfährt. Ein Beispiel hierfür sind Cornrows. Für die Flechtfrisur wurden schwarze US-Amerikaner ausgelacht und diskriminiert.
Versteht mich nicht falsch: Bildung ist wichtig und ein Verständnis beziehungsweise Bewusstsein für Kulturen sollte meiner Meinung nach auch sozialisiert werden. Allerdings ist es nicht ersichtlich, ob eine Person ihre Frisur mit dem Bewusstsein für den Ursprung trägt oder aus rein modischen Gründen. Und es könnten auch noch andere Motive dahinter stecken: Vielleicht trägt sie diese sogar aus Respekt vor der Rastafari-Kultur.
Ist Kulturelle Aneignung eine Form der Wertschätzung?
Ist es nicht möglicherweise oder sogar vor allem eine Form der Wertschätzung, wenn ich Elemente aus anderen Kulturen übernehme? Und: Gehört es nicht in einer pluralistischen Gesellschaft dazu, dass ich so sein kann wie ich möchte, der Mensch sein kann, der ich sein will?
Ich kann mich als Mann verkleiden und künftig mein Geschlecht und meinen Vornamen mittels Selbstbestimmungsgesetz neu bestimmen. Wird mir dann vorgeworfen werden, dass ich meine Chancen auf mehr Gehalt erhöhen möchte? Und ist die Geschlechtsänderung von Männern zu Frauen nicht ebenso eine Art kultureller Aneignung? Schließlich wurden und werden Frauen auch gesellschaftlich unterdrückt.
Kulturelle Aneignung: Zwangsläufige Vermischung und Beitrag zur Vielfalt
Ich halte kulturelle Aneignung als unvermeidlich, da Kulturen sich zwangsläufig vermischen und sich schon immer vermischt haben. Dabei unterstelle ich den Menschen auch keine negative Intention, sondern interpretiere es als Form der Wertschätzung und als Beitrag zur Vielfalt. Zudem, Hand auf’s Herz: Können wir immer nachvollziehen woher ein bestimmtes kulturelles Element genau stammt? Wusstet ihr, dass die Ursprünge des Schlagers aus Wien stammen, Techno aus Detroit und die Lederhose aus Frankreich?
Was ist beständiger als der Wandel? Kultur ist weder statisch noch an irgendeiner Stelle abgrenzbar, sie ist per se dynamisch. Toleranz hieß einstmals das Zauberwort in einer aufgeklärten Gesellschaft!
Quellen
- spiegel.de: Fridays for Future lädt Musikerin wegen Dreadlocks von Demo aus
- focus.de: Schweizer Rasta-Band „Lauwarm“ zum zweiten Mal „gecancelt“
- spiegel.de: Weißer Musiker mit Dreadlocks darf nicht in Zürcher Bar spielen
- emma.de: DARF EINE WEISSE DREADLOCKS TRAGEN?
- youtube.com: Cultural Appropriation: Ist kulturelle Aneignung diskriminierend? I 13 Fragen