Wie Schwarz-Weiß-Denken unsere Gesellschaft spaltet

Schwarz-Weiß-Denken

Eine aktuelle Studie ergab, dass 59 Prozent der Inhalte, die bei Facebook oder Twitter verlinkt werden, nicht angeklickt werden. Sechs von zehn Personen lesen, wenn überhaupt, nur die Überschrift. Dieses Verhalten ist charakteristisch für den heutigen Zeitgeist: Wir bilden uns eine Meinung auf der Grundlage einer Kurzzusammenfassung, ohne uns tiefergehend mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Und dadurch setzt das „Schwarz-Weiß-Denken” ein. Ich beobachte schon länger die Tendenz, dass unsere Gesellschaft zunehmend – auch durch die Politisierung – in Schwarz-Weiß-Kategorien denkt. 

Was ist Schwarz-Weiß-Denken?

Schwarz-Weiß-Denken, auch dichotomes Denken, ist die Neigung, komplexe Situationen, Ideen oder Menschen in extreme Kategorien aufzuteilen – gut oder böse, richtig oder falsch, Freund oder Feind. 

Schwarz-Weiß-Denken ist weit verbreitet und beeinflusst alle Aspekte unseres Lebens. Auf persönlicher Ebene kann es zu Konflikten in Partnerschaften führen,  wenn wir zum Beispiel unseren Partner aufgrund einer vergessenen Aufgabe als lieblos abstempeln. Wir neigen dazu, unseren Partner in bestimmten Situationen schnell zu verurteilen, ohne die Gesamtsituation oder die Beweggründe des Partners zu berücksichtigen. In der Arbeitswelt kann Schwarz-Weiß-Denken die Zusammenarbeit behindern, indem es zu einer Teilung in „uns” und „sie” führt und die Entstehung von Feindbildern begünstigt.

Schwarz-Weiß-Denken ist oft auch in politischen und gesellschaftlichen Debatten zu beobachten. Menschen neigen dazu, komplexe Themen in vereinfachte Kategorien aufzuteilen und Andersdenkende als Feinde zu betrachten. Diese Tendenz kann zu polarisierten Diskursen, Vorurteilen und Misstrauen führen, was die soziale Zusammenarbeit und den Fortschritt behindert.

Geschichtliche Beispiele für Schwarz-Weiß-Denken

Schwarz-Weiß-Denken ist ein Phänomen, das seit jeher in der menschlichen Geschichte präsent ist. Ein Beispiel dafür ist die Teilung des antiken Roms in „Römer” und „Barbaren”. Die Römer betrachteten sich selbst als zivilisierte Kultur, während sie die Barbaren als rückständig ansahen. Diese Dichotomie führte zu Konflikten und Eroberungen.

Ein weiteres Beispiel ist die Hexenverfolgung im Mittelalter. Menschen wurden in „gläubig” und „ungläubig” eingeteilt, wobei diejenigen, die als Hexen verdächtigt wurden, als Feinde Gottes angesehen wurden. Diese Kategorisierung führte zu Massenverfolgungen und laut Schätzungen zu 40.000 bis 60.000 Hinrichtungen.

Aktuelle Entwicklungen

Heute sehen wir ähnliche Muster in politischen und sozialen Debatten. Parteien und Gruppen tendieren dazu, sich in „uns” und „sie” zu teilen, wobei diejenigen außerhalb der eigenen Gruppe oft als Feinde betrachtet werden. Dies führt zu einer zunehmenden Polarisierung und erschwert die Zusammenarbeit und auch den gesellschaftlichen Dialog.

Pauschale Etikettierungen von Menschen

Ein Beispiel hierfür ist die pauschale Etikettierung von Menschen als „rechts” oder „Nazi”, die mittlerweile inflationär verwendet wird. Die Youtuberin Alicia Joe führt in ihrem Video „Wie das Magazin Royale Nazis in die Karten spielt” Beispiele an:

„Du findest Gold gut? Du bist ein Nazi. Du findest ein, zwei Sachen, die Elon Musk sagt, richtig? Du bist ein Nazi. Du fragst dich, wie wir mit gewissen Fragen in der Debatte um Transidentität umgehen sollen? Du bist ein Nazi. Das ist Spaltung!”

Diffamierung und Cancel Culture

Und das führt nicht nur zur gesellschaftlichen Spaltung, sondern schränkt auch den Raum für differenzierte Diskussionen und Kompromisse ein. Indem Personen pauschal als „Nazis” etikettiert werden, sind ihre Argumente wertlos, unabhängig von ihrer tatsächlichen Position oder den Inhalten ihrer Argumentation. Sie werden diffamiert und von der Gesellschaft ausgegrenzt. Stichwort: Cancel Culture. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot erklärt es wie folgt:

„Dann sind wir schon beim Thema, also die, die ausgegrenzt werden, die also aus irgendwelchen Gründen eine legitime Kritik an Regierungsposition haben, sei es, dass sie mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden waren, weil die Freiheit eingeschränkt wurde, sei es, dass sie für den Frieden sind, sei es, dass sie die Gendersternchen nicht möchten, sei es, dass sie die Klimapolitik oder die Daten ein bisschen in Frage stellen. Diese ganzen Leute wurden eigentlich in den letzten Jahren pauschal als rechts diffamiert. Insofern ist ja rechts schon eine relative Amalgamierung geworden für alle, die in irgendeinem oder auch in mehreren Politikbereichen einfach mal kritisch gewesen sind. Das ist per se ein undemokratischer Vorgang.”

Dieser Mechanismus führt dazu, dass wichtige Diskussionen im Keim ersticken und konstruktive Lösungsansätze verloren gehen. So sehen wir es täglich auf Social Media: Unzählige Diskussionen verengen sich und werden nicht mehr sachlich, sondern emotional geführt. Dabei ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Realität oft viel nuancierter ist und Menschen vielschichtige Ansichten und Motivationen haben können. 

warum tendieren wir zum Schwarz-Weiß-Denken?

Es gibt mehrere Gründe dafür, warum wir zum Schwarz-Weiß-Denken neigen. Zum einen bietet es uns eine einfache Möglichkeit, komplexe Informationen zu verarbeiten. Unser Gehirn sucht nach Mustern und Kategorien, um die Welt um uns herum zu organisieren. Das Reduzieren von Informationen auf ein binäres Schema erleichtert diese Verarbeitung. Und es vermittelt uns ein Gefühl von Kontrolle.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist unsere Neigung zur Gruppenzugehörigkeit. Menschen fühlen sich oft sicherer und unterstützt, wenn sie sich einer Gruppe anschließen und klare Unterscheidungen zwischen „uns” und „denen” machen können. Diese Gruppenidentität kann dazu führen, dass wir diejenigen außerhalb unserer Gruppe als Feinde betrachten.

Schwarz-Weiss-Denken führt zum Feindbild-Denken

Oder wie es der Psychologe Kevin Dutton formuliert:

„Menschen lieben es, die Dinge in kleine Boxen zu stecken, klare Grenzen zu ziehen: Wir sind die Guten und die, [die Psychopathen], sind die Bösen.”

Und das führt zum Bilden von Feindbildern in unserer Gesellschaft. Das Bilden von Feindbildern kann zu Vorurteilen, Konflikten und sogar Gewalt führen. Wenn wir Menschen oder Gruppen als Feinde betrachten, sind wir weniger bereit, mit ihnen zu kooperieren oder Kompromisse zu schließen. Dies kann die soziale Zusammenarbeit und den Fortschritt behindern und führt dann auch letztendlich zu einer zunehmend polarisierten Gesellschaft.

Wie können wir Schwarz-Weiß-Denken entgegenwirken?

Indem wir uns der Geschichte bewusst werden und erkennen, dass die Welt nicht einfach in Schwarz und Weiß aufgeteilt ist. Indem wir uns bemühen, mehr Empathie und Verständnis für die Perspektiven anderer zu entwickeln. Indem wir aufhören, vorschnell Urteile zu fällen. Indem wir nach gemeinsamen Interessen und Lösungen suchen, anstatt uns auf unsere Unterschiede zu konzentrieren. Es ist wichtig, offen zu sein und Menschen aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Handlungen zu beurteilen, anstatt vorschnelle Annahmen zu treffen.

Quellen

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